Frau Heigerlein kommt aus dem Supermarkt und trägt schwer an ihrem Einkauf. Doch sie muss noch in die Apotheke, ein Päckchen für Herrn Heigerlein abholen. Aber nicht nur wegen ihres Gatten geht sie dorthin, sondern auch aus Eigeninteresse.
Frau Heigerlein kommt aus dem Supermarkt, in beiden Händen schwere Papiertüten. In einer davon das Fleisch für die kommende Woche, Rindsgulasch, Schweinebraten, Bratwürste, ein Huhn, etwas Gemüse, nur wenig, denn das mag er nicht so gern, der Herr Heigerlein, lieber Knödel dazu oder Pommes. Auch davon ist ein Kilogramm dabei. In der anderen Tasche das Bier für Herrn Heigerlein, zwölf Flaschen Ottakringer. Und ein Liter Milch für sie selbst. Macht sieben Kilo links und sieben Kilo rechts. Die Taschen schneiden tief in Frau Heigerleins Hände. Aber jeder muss sein Päckchen tragen.
Draußen regnet es. Das ist dumm, denkt Frau Heigerlein, jetzt habe ich keine Hand frei für den Schirm. Und ich kann die Tüten auch nicht niederstellen, sonst weicht das Papier auf und die Tüte zerreißt und das Fleisch liegt auf der Straße, oder noch schlimmer, die Bierflaschen zerschellen am Asphalt. Das würde Schelte geben und nicht zu gering. Also stell dich nicht so an, Anita, vergiss den Schmerz in deinen Händen, geh halt schneller. Ein jeder muss sein Päckchen tragen.
Ich muss noch in die Apotheke, denkt Frau Heigerlein und freut sich, trotz der langen Wartezeit im Regen, denn die Ampel hat gerade auf Rot geschaltet, und nun steht sie da und der Regen durchweicht ihre Bluse, man sieht schon den BH darunter, peinlich ist das. Aber trotzdem freut sich Frau Heigerlein, dass ihre Bluse nass vom Regen ist und sie in die Apotheke muss. Herr Heigerlein hat dort etwas bestellt, das muss sie abholen. Er wollte nicht sagen was, und sie hat nicht genauer nachgefragt. Ein Päckchen, das sie jetzt nachhause tragen wird.
Endlich springt die Ampel auf grün. Ein junges Mädchen, fünfzehn oder sechzehn Jahre alt, wer kann das schon sagen bei den Kindern von heute, fährt auf einem Skateboard an ihr vorbei, rempelt sie an und springt mit ihrem Rollbrett auf den Gehsteig. Dort dreht es sich um, sieht zurück und ruft eine Entschuldigung. Es hat rotes Haar und eine Baseballkappe auf dem Kopf. Nichts passiert, denkt Frau Heigerlein und lächelt das Mädchen an, aber das ist schon wieder davon. Einen Rucksack trägt es über seinen Kapuzenpullover, da steht Fuck off! drauf. Das ist sein Päckchen, das es zu tragen hat.
In der Apotheke stehen sechs Leute an. Alle beim jungen Herrn Magister, der erst seit kurzem da ist. Ein schöner Mann, denkt Frau Heigerlein, hochgewachsen, breite Schultern, ein freundliches Lächeln. Auch Franz sah einmal so aus. Wie lange mochte das nun her sein? Achtundzwanzig Jahre? Dreißig? Er war nett, konnte gut tanzen, wollte hoch hinaus. Kam er ja auch, dann später, mit der Zeit. Jetzt ist er Filialleiter. Ein Job mit großer Verantwortung. So hat jeder sein Päckchen zu tragen.
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Kommentare von Leserinnen und Lesern
nora s
Gelöscht.
14.12.2023 um 00:47 Uhr
geändert am 05.01.2024 um 19:04 Uhr
ich hab mich zuerst gewundert, wie Frau Hegelein so klaglos ihr Päckchen tragen kann und auch dass sie es eben als ihr Päckchen ansieht. Ich hoffe ja sehr, dass dies bei den etwas jüngeren Frauen nicht mehr der Fall ist und die nicht warten, bis sich das Päckchen "Mann" von alleine erledigt.
Anfangs hat mich die ständige Wiederholung "So hat jeder sein Päckchen zu tragen" gestört; du hast es aber toll als Stilmittel eingesetzt, finde ich.
mit hat die Geschichte gefallen und ich habe sie gerne gelesen, danke dafür.
Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Das Wettbewerbsthema als Gleichnis umzusetzen, Episoden einzuspinnen, diese gleichzeitig miteinander zu verknüpfen, dazu die fast lakonische sprachliche Umsetzung und eine gut eingeleitete, krachende Pointe am Ende zu schreiben, empfand ich als erfahrene, sehr gut gemachte Arbeit. Ich gratuliere zum Ersten Platz.
zuerst einen großen für den ersten Platz in dem Wettbewerb, den Du Dir redlich verdient hast mit dieser Geschichte.
Päckchen tragen..ja, jeder hat sein Päckchen zu tragen. Mal große, mal kleine, mal wechseln sie auch im Laufe des Lebens, weil wir den Inhalt entrümpeln können und damit das Päckchen wieder leichter machen können.
Beim ersten Lesen Deiner Geschichte, gleich nach der Veröffentlichung, da hat mich das "Päckchen tragen" gestört. Als ich die Geschichte dann aber ein zweites Mal las, da habe ich in Gedanken sogar noch an anderen Stellen diese Phrase eingesetzt.
Du siehst also, dass das von Dir gewählte Stilmittel sich sogar verselbständigen kann bei dem ein oder anderen.
Der Plot der Geschichte ist ein wenig ... sagen wir mal... makaber. Aber was kann man in der Beziehung schon von einer Wahlwienerin erwarten, die sicherlich den leicht morbiden Charme der Bewohner dieser Stadt gerne aufgenommen hat. Ich mag es.
Lasse dich bitte nicht verunsichern, von der Kritik auf sehr hohen Niveau.
Du hast eine tolle, stimmige Geschichte geschrieben, die genau so geschrieben werden musste. Diese Geschichte hat so viel Charme, deshalb wurde sie genau so wie sie ist, auf den ersten Platz gewählt.
Dein feiner Humor, die präzisen Beschreibungen deiner Protagonisten und ihrem Umfeld, man hatte dieses Grätzl vor Augen.
Ich weiss dass ich mit dem Refrain vom Päckchen tragen für manche knapp an den Rand des Erträglichen gegangen bin. Aber ein bisschen wollte ich das auch, um zu zeigen, wie sehr so ein "Glaubenssatz" nervt - erst recht, wenn du ihn von früh auf immer wieder hörst. Und schliesslich auch glaubst, dass die Packen, die dir andere aufhalsen, tatsächlich deine Päckchen sind.
Die Frau Drachenlady hat das exakt auf den Punkt gebracht. Mir scheint, du hast mit ihr das gleiche Glück, wie ich mit Nora.