1.
Der Zug
Mit kreischenden Bremsen hält der Intercity vom Ruhrgebiet nach Hamburg in Bremen. Ich habe kein Gepäck bei bei mir, es liegt in Hamburg im Hotel, ich bin heute morgen dorthin angereist und vor einer Stunde aus Hamburg wieder hier angekommen, fahre jetzt zurück. Ich bin gespannt, sehr gespannt. Vor zwei Stunden habe ich dich angerufen, per Handy, habe dich gefragt, ob alles so ist wie vereinbart. Du hast bejaht. Wir werden sehen.
Beim Suchen des Abteils überlege ich, ob das Bild, das sich in meinem Kopf von Dir festgesetzt hat, aus vielen Briefen und einigen Gesprächen, richtig ist. Ich wollte mir keines machen, dennoch legt sich der Kopf unwillkürlich eines zurecht. Und da ich kein Foto wollte, diese eingefrorene sechzigstel Sekunde, die doch nichts sagt, werden sich gleich Realität und Vorstellung treffen.
Gut, ich kenne Deine Haarfarbe, die nicht Deine eigene ist, ich weiß, wie groß Du bist, aber nicht, wie Du Dich bewegst und wie Deine Gesten sind, Du hast mir die Farbe Deiner Augen gesagt, aber leuchten sie oder sind sie stumpf?
Der Zug ist beinahe leer, natürlich, es ist Mittagszeit, es sind keine Ferien, wer fährt um diese Zeit schon? Da ist das Abteil, die Vorhänge sind zugezogen. Alles sieht richtig aus. Ich schaue auf die Reservierungskarten an der Scheibe. Eine Sitzplatzreservierung ab dem Revier, fünf ab Bremen.
Schön, so war es geplant. Als ich die Tür öffne, wendet sich mir Dein Kopf ruckartig zu, Du hattest aus dem Fenster geschaut. Ein wenig erschrocken sind diese Augen, ich lächle und setze mich Dir gegenüber hin.
Schnell schaust Du wieder aus dem Fenster, sitzt ganz starr, Du hast mich nicht erkannt, obwohl Du über mich das gleiche weißt wie ich über Dich. Aber wie solltest Du auch erwarten, dass ich jetzt hier bin. Ist es wohl sehr unangenehm für Dich, mit einem fremden Mann allein in einem Abteil mit zugezogenen Vorhängen zu sitzen?
Du sitzt sehr gerade und hältst die Knie zusammengepresst. Sehr vernünftig, nun kann ich davon ausgehen, dass Du meine Wünsche befolgt hast. Dass Du Dich nicht erst kurz vor dem Ziel so präparierst, wie ich es Dir in unserem letzten Gespräch befohlen habe. Sogar Dein langer Mantel hängt brav am Haken, obwohl ich mir sicher bin, dass Du jetzt alles darum geben würdest, ihn anzuziehen.
Ein sehr kurzer Rock. Keine Unterwäsche, keine Strumpfhose. Oberteil je nach Witterung. Das hatte ich Dir gesagt.
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