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Eigentlich ist SM reine Privatsache. Ich möchte nicht darüber reden. Es gibt Wichtigeres. Zum Beispiel Büroarbeit. Meine Papiere für die Vorsteuer habe ich noch nicht fertig. Abgabetermin war vorgestern.
Ich hasse Buchhaltung. Nadja könnte das übernehmen. Für ihren Klub macht sie es. Bei mir nicht. Wenn ich sie frage, droht sie mir mit der üblichen Geste. Sie hebt ihre Fäuste, zeigt mir im Luftboxen einen ihrer Combo-Hits. Frech ist sie. Aber irgendwann wird sie mir den Steuerkram machen. Ich arbeite dran.
Es ist Freitag. Kundenzeit ist vorbei. Wir haben unsere Termine gehalten, alle Autos sind abgeholt. Ich stehe auf, sehe durch die Glastür auf den Hof. Draußen ist Novemberwetter. Wind zerrt am Laub. Feiner Nebel schafft ein Zwielicht. Überall liegen schmierige Blätter, die sich schlecht fegen lassen.
Mein Blick streift die Wanduhr. Nadja wird gleich von unserem Haus rüber in ihren Klub gehen. Zwei Uhr beginnt ihr erster Kurs. Meist kommt sie vorher in mein Büro. Noch ist Zeit für einen Kaffee.
So, Feierabend! Ich schalte meinen Computer aus. Durch die Scheiben des Kabuffs habe ich die Werkstatt im Blick. Mein Kumpel Bernd lässt den Kombi von der Hebebühne, öffnet das Tor, fährt aus der Halle. Ich höre auf das Fahrzeug. Da ist kein Nebengeräusch. Jede andere Werkstatt hätte einen Austauschmotor eingebaut. Wir nicht. Bei uns arbeiten keine Baugruppenwechsler. Bernd hat sieben Stunden Arbeit investiert. Dazu kommen die Ersatzteile. Alles zusammen kostet das nicht mal ein Viertel eines neuen Motors.
Mist, ich habe die Rechnung noch nicht gedruckt. Egal, der Kombi wird erst Montag abgeholt. Ich werde einen knappen Tausender aufrufen. Beim Austauschmotor hätte der Kunde mehr als drei Riesen gezahlt. Er wird sich freuen, hat sogar ein Jahr Garantie. So läuft Kundenpflege. Der Mann kommt wieder zu uns, wenn er was mit seiner Karre hat.
Nadja ruft an. Was? Kaffee gibt es heute erst vier Uhr? Warum? Ach so, sie gibt noch eine Privatstunde. Arbeit geht vor. Dann werde ich jetzt joggen. Hoffentlich regnet es nicht.
Die Jungs in der Werkstatt machen den Wochenendputz. Ich winke ihnen zu, schließe das Büro ab. Im Haus liegen meine Laufsachen. Schnell umziehen, los.
Laufen ist Lebenstherapie. Ich bekomme den Kopf frei. Über den Hof renne ich auf die Verbindungsstraße in Richtung Stadt. Vorn links geht der Kiesweg über die Felder. Die Konturen der Berge wirken auf mich wie schlafende Riesen. Sie ruhen unter Decken aus Nebel. Es beginnt zu nieseln.
Ich verdränge den Regen, denke an Nadja. Sie vergleicht das Leben mit einem Boxkampf. Man muss möglichst schmerzfrei über die Runden kommen, sagt sie. Es ist wichtig, Angriffen auszuweichen. Schläge müssen abgewehrt werden. Treffer werden weggesteckt. Austeilen ist wichtig, nicht wild, sondern taktisch. Nachdenken, ruhig bleiben. Immer dranbleiben an seinen Dingen. Macht man das nicht, geht man unter. Nadja kennt sich aus. Boxen ist ihr Fach.
Die Berge liegen deutlich vor mir. Es riecht nach Laub, feuchtem Boden. Der Weg läuft ein Stück am Feld entlang, biegt in den Wald ab. Nässe hängt zwischen den Bäumen. Bis auf meinen Atem ist es absolut still.
Wenn ich mit Nadja über Leute rede, die nach einer Niederlage nicht aufstehen, fehlt ihr das Verständnis. Verlierer sind das, sagt sie. Die haben keinen Willen. Das sehe ich anders. Ich glaube, denen fehlt ein Thema im Leben. Die lassen sich treiben. Aber wer treibt, wenn man sich nicht selbst vorwärts bewegt? Die Anderen. Also laufen viele Leute nicht selbst. Sie werden gelaufen. Das ist die Wurzel jedes Scheiterns. Eines ist klar. Falsche Dinge richtig machen geht nicht. Nadja sagt, ich bin ein Westentaschenphilosoph. Das werden wir auswerten.
Jetzt nehme ich den Anstieg hoch in den Mischwald. Ich verkürze die Schrittlänge, halte meinen Rhythmus. Man darf sich nie von seinem Thema ablenken lassen, muss es festhalten. Was irgendwelche Leute sagen, ist ganz egal. Ein Thema von mir ist SM. Früher hat niemand darüber geredet. In meiner Kinderzeit war das tabu. Es gab nichts zu lesen, nichts im Fernsehen. Internet begann erst. Heute gibt es Ecken in Buchläden, die sind voll mit halbseidenen Sachen von dominanten Rittern, die sich mit submissiven Burgjungfern vergnügen. Was über SM gequatscht wird, ist unglaublich. Die einen reden von Perversion, die Anderen machen eine Wissenschaft draus. Einige sehen das als reine Lehre der tiefen Liebe, wieder andere als Weltrezeptur, als Lebensmedizin.
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