Mit großen Augen und nervösem Lächeln blickte Claudia zu ihm auf. Ihr Dom hatte sich nicht geirrt, sie war überfordert in ihrer Rolle. Sie stand im Zentrum der Aufmerksamkeit des Christkindlmarktes, in einem goldenen Kleid, das kaum Schutz vor Witterung bot.
Von Anbeginn an gab es in jedem Jahr viele Feiertage, die mit ihren ganz eigenen Traditionen aufwarten konnten. Aber keiner davon schien den Menschen mehr bedeutet zu haben als das Weihnachtsfest. Dazu gehörten nicht nur der Heilige Abend mit all seinen familiären Verwicklungen, sondern vor allem auch die Zeit davor. Der Advent mit seinen hübsch geschmückten Kränzen, die im flackernden Licht der Kerzen zur Geltung kamen. Dem verführerischen Geruch frisch gebackener Kekse, der so manches Zimmer erfüllte. Weit über die Küchen hinaus, in denen sie mühsam entstanden waren. Und natürlich durften auch die traditionellen Christkindlmärkte nicht fehlen.
Dabei war den Kindern nicht etwa der rotgewandete Weihnachtsmann erschienen, um seine getränkegesponserte Freude zu verbreiten. Nein, vielerorts fehlte jeglicher Bezug, mitunter sogar zu Krampus und Nikolaus. Einige wenige hatten ihre Besucher mit lebenden Krippen bezaubert, in denen die Geschichte der ersten Heiligen Nacht zum Leben erweckt wurde. Aber es gab auch solche, die sich einer anderen Tradition rühmen konnten. Nämlich jener des Christkindes, das den gleichnamigen Markt eröffnet. Nur um dann darüber zu wandern und mit seiner Anwesenheit besinnliche Stimmung zu verbreiten.
Dieses wurde dabei jedoch immer, im Gegensatz zur ursprünglichen Weihnachtsgeschichte, von einer jungen Frau verkörpert. Vermutlich, weil selbst eingefleischte Weihrauchfetischisten eine originalgetreue Darstellung verstört hätte. Freiwillige zu finden, stellte bei größeren Christkindlmärkten wie jenem in Nürnberg dabei kein Problem dar. War es doch eine entsprechende Ehre, für dieses Amt auserkoren zu werden. An anderen Orten konnte es jedoch schon einmal passieren, dass es an geeigneten Kandidatinnen mangelte. So kulturell aufgeschlossen man auch war, konnten Perücke und Kostüm eben doch nicht alles hinbiegen. Zum Glück fand sich in dem beschaulichen Städtchen Kirchschlag jedoch jemand, bei dem nicht mehr viel nachgeholfen werden musste.
Claudia hatte sich eigentlich mehr aus einer vorweihnachtlichen Laune heraus gemeldet. Ohne den ernsthaften Glauben, dass sie wirklich für die Rolle auserkoren werden würde. Die Betreiberin eines beliebten Literaturkaffees hatte in den vorangegangenen Wochen mehrfach mit ihren Stammgästen gescherzt, dass sie vermutlich mit ihren Anfang Dreißig schon zu alt sei und nicht hübsch genug. Vor allem Letzteres war auf dezenten, manchmal auch offen vorgetragenen Unglauben gestoßen.
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