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Diese Geschichte erreichte den ersten Platz im »Schreibwettbewerb: Blindflug«.
Sollte dies, werter Leser, Ihre erste Geschichte über Lilith und mich sein, kläre ich gerne zum besseren Verständnis darüber auf, wie wir zusammenfanden. Zu Beginn möchte ich, wenn Sie gestatten, mich selbst vorstellen. Mein Name ist Henrietta Mouse und ich bin eine gebildete, aber leider recht arme Engländerin, die ihre Berufung als Archivarin in einem antiquarischen Buchhandel gefunden hat. Mit meinem Selbstwert, so muss ich zu meinem Bedauern zugeben, ist es nicht weit her, und abgesehen von einer ausschweifenden Fantasie kann man auch sonst nichts Besonderes an mir finden.
Davon war ich jedenfalls fest überzeugt, bis ich Lilith Blackwater begegnete, einer adligen Großindustriellen, die mit Geld, Schönheit und Selbstbewusstsein im Übermaß gesegnet ist. Sie hat zuweilen eine etwas arrogante, ja sogar herrische Art an sich, doch wo immer sie erscheint, sind die Leute fasziniert und angezogen von ihr. Natürlich empfand auch ich sofort große Begeisterung für diese fabelhafte Frau, denn ich habe, das sollte man noch über mich wissen, ein ausgesprochen unterwürfiges Wesen.
Allein meine Schüchternheit hinderte mich seinerzeit daran, ihr meine Verehrung zu gestehen. Doch aus Gründen, die sich bis heute meinem Begreifen entziehen, bekundete sie ebenfalls großes Interesse an mir. Sie bestimmte mich zu ihrer Freundin, beförderte mich schnell zur Vertrauten und führte mich schließlich in die aufregende Welt des homoerotischen Sadomasochismus ein. Obwohl sie mich dabei nicht selten an meine Grenzen bringt und manchmal sogar darüber hinaus, bin ich gerne ihr willfähriges Spielzeug. Ich genieße die Abenteuer, die sie mir serviert, und auch wenn ich hin und wieder in körperliche oder seelische Gefahr gerate, hat sie mich doch immer wieder gerettet.
Doch das Außergewöhnliche an unserer bizarren Beziehung ist, dass sie mich trotz aller grausamen Spiele und Unterdrückung neue Seiten an mir entdecken lässt und mein verkümmertes Ego zu Wachstum anregt. Den Grund, weshalb sie das für mich tut, und wie so etwas Widersprüchliches überhaupt funktionieren kann, soll diese Geschichte erzählen.
Die Gefühle, die mich heimsuchten, als Lilith mir nach langem Zögern ihre spezielle Sammlung enthüllte, waren nur schwer zu beschreiben. Ich will trotzdem einen Versuch wagen, denn die Intensität und die schmerzlich schöne Ausprägung dieser Empfindungen sind es auf jeden Fall wert, in Worte gefasst zu werden.
Meine erste Regung bestand in blankem Staunen, denn sowohl der Umfang der Kollektion als auch ihre pompöse Zurschaustellung waren bemerkenswert. Es folgte Ernüchterung, sobald mir klar wurde, dass dies voll und ganz zu Liliths ehrgeizigem und selbstherrlichem Charakter passte. Gleich darauf fühlte ich aufkeimenden Schmerz direkt dort, wo mein Herz saß, weil mir die unweigerliche Folge dieser Sammelleidenschaft für meine eigene Zukunft bewusst wurde. Die Pein in meiner Brust war dünn und scharf, wie von Rasierklingen verursacht. Sie näherte sich im Takt meines Pulses der Unerträglichkeit an, um dann für einen Moment zu verblassen, bevor sie erneut anschwoll. Ein emotionaler Nervenkitzel, der gerade durch sein Kommen und Gehen für einen steten Zufluss an Aufregung sorgte.
Auch wenn mich der Anblick der aufgereihten Sammlerstücke traurig machte, den inneren Schmerz scheute ich nicht. Gemäß meiner Veranlagung hatte er für mich etwas so Faszinierendes, als wäre ich eine Süchtige, die es zur Nadel zieht. Ich begrüßte die bittersüße Marter, die in mein Innerstes schnitt, und kostete diese Folter weidlich aus. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich allerdings noch nicht, welch zerstörerischer Tornado an echter, alles zermalmender Seelenqual mir gleich bevorstand, ausgelöst von nur zwei kleinen Worten.
Um dies alles ins rechte Licht zu rücken, möchte ich jedoch am Anfang beginnen. Im Herzen unserer Stadt steht ein monumentales Bauwerk, das alle anderen Gebäude, sogar die Wolkenkratzer ringsherum überragt. Natürlich am spektakulärsten Punkt dieses Gebildes aus Glas und Beton hat Lilith ihr Büro. In letzter Zeit rief sie mich zunehmend häufiger dorthin, um ihr Gesellschaft zu leisten und manchmal auch, um sich mit mir auf ihre spezielle Weise zu vergnügen. Die Möglichkeiten an ihrem Arbeitsplatz sind natürlich begrenzt, weshalb ich im Moment auch an keinem Schreibtisch vorübergehen kann, ohne das Verlangen zu spüren, mich darüber zu beugen und meinen Hintern für Schläge bereitzuhalten.
Umso aufgeregter war ich, als sie andeutete, heute zwecks ausführlicher Spiele einen kleinen Ausflug mit mir zu unternehmen. Meine Fantasie schäumte sofort über und produzierte Bilder von bizarren Möbeln und extremen Fesselstellungen. Doch als sie mich mit funkelnden Augen begrüßte und selbst ihr äußerst beherrschtes Wesen eine gewisse Vorfreude nicht unterdrücken konnte, begann mein Herz erst richtig zu pumpen. Sie nahm zur Begrüßung meine Hände, alle beide, und schenkte mir einen tiefen Blick. Ich bemerkte ihr Schmunzeln, das auf sadistische Gedanken hindeutete, doch sah ich auch etwas Seltsames in ihrem Gesicht, eine Weichheit, die ich nicht kannte. Es befremdete mich regelrecht, an meiner Göttin etwas so Menschliches zu entdecken, doch in der nächsten Sekunde erfüllte mich auch das mit Verehrung.
Sie bat sich noch einen Augenblick Geduld aus und schickte mich ins Vorzimmer, wo ich in einem edlen, aber recht unbequemen Lederstuhl Platz nahm. Liliths Assistentinnen, die dort ihrer Arbeit nachgingen, waren alle attraktiv und dünn und so besonders gekleidet, als befände ich mich unter Models und nicht Büroangestellten. Sie warfen mir kühle Blicke zu, so dass ich mich fühlte wie ein Schleppkahn, der zwischen schnittigen Luxusjachten ankert. Einem Monster in den Alpträumen eines kleinen Mädchens gleich schlich sich die alte Frage an mich heran, was Lilith nur mit mir wollte, war sie doch von solchen Schönheiten umgeben. Es machte mir das Herz schwer und ich merkte, wie ich langsam und ohne die Chance auf Gegenwehr in die Depression abrutschte.
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