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Platz 3 im »Schreibwettbewerb: Missverständnis«.
Als Liliths devote Sklavin war mein Glück komplett und ich wurde in sexuelle Abenteuer hineingezogen, die jede Vorstellungskraft sprengen. Wir beide in unseren Rollen als niederes Spielzeug und glorreiche Herrscherin hätten Spaß und Bereicherung ohne weitere Konsequenzen haben können. Doch Fortuna ist eine launische Göttin und neigt zum Schabernack. Die Anziehung zwischen uns wuchs unaufhörlich und schließlich mussten wir uns eingestehen, dass wir uns ineinander verliebt hatten. Dies stellte schon deshalb einen Witz dar, weil wir beide aus gänzlich unterschiedlichen Welten kamen, ganz zu schweigen davon, dass sich unsere Temperamente unterschieden wie der Tag von der Nacht. Bizarr wurde die Angelegenheit allerdings erst dadurch, dass niemand von uns so recht wusste, wie man mit diesem warmen, weichen und rosafarbenen Zustand des Herzens umzugehen hatte. Mich hielt bisher meine Schüchternheit von solchen Erfahrungen fern und Lilith hatte sich aufgrund ihrer Eroberungssucht nie näher damit beschäftigt. Unsere Versuche, nun damit zurechtzukommen, konnten deshalb mitunter recht komische Züge annehmen, wie die folgende Geschichte zeigen soll.
Ich enthielt mich schon seit einer ganzen Weile jeglicher Kritik, da ich es als große Ehre empfand, dass Lilith mir so viel ihrer kostbaren Zeit opferte. Unruhig rutschte ich auf dem Klappstuhl herum, den Lilith mir zur Verfügung gestellt hatte, und wartete darauf, ihr möge von selbst auffallen, wie absurd diese Situation geworden war. Der Stuhl fühlte sich übrigens recht bequem an. Er war aus Mahagoni gefertigt und wurde von Messingbeschlägen zusammengehalten, die poliert worden waren, bis sie glänzten wie Gold. Vermutlich war er sehr alt, denn der betuchte Adel schafft sich nur Dinge höchster Qualität an und lässt sie gut pflegen, weshalb sie sich praktisch nie abnutzen. Ich hielt es durchaus für möglich, dass diese Sitzgelegenheit schon einen Blackwater auf Safari begleitet hatte, als Afrika noch der Dunkle Kontinent genannt wurde und es auf seinen Karten mehr weiße Flecken als geographische Hinweise gab.
Mein Blick ging hinüber zu unserem geparkten Bentley, wo Liliths Butler eine faltbare Küche aus dem Kofferraum geholt hatte und jetzt mit der unerschütterlichen Würde eines englischen Leibdieners Tee zubereitete. Meine Hoffnung, Ferguson könnte seine Herrschaft dezent darauf hinweisen, dass ihr Verhalten unangebracht war, löste sich immer mehr in Luft auf. Als stünde er nicht in aller Öffentlichkeit, sondern allein am Herd, tat er stoisch seine Pflicht und ließ sich auch nicht von Passanten irritieren, die stehengeblieben waren, um das Schauspiel zu beobachten. Ich konnte sehen, wie die Masse der Umstehenden wuchs und sich die Leute Theorien zuflüsterten, was hier vorgehen mochte.
Schließlich hielt ich es nicht mehr aus, schob mich an Lilith heran und flüsterte ihr zu: »Bitte verzeih, aber ich fürchte, wir machen das nicht richtig«.
Lilith ließ sich mit der Antwort Zeit und ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass sie dies alles überaus genoss. Wenn es um lukrative Geschäfte ging, konnte man Lilith getrost als Genie bezeichnen, und auch die Fähigkeit, Menschen zu manipulieren und Macht auszuüben, beherrschte sie meisterlich. Für alles andere beschäftigte sie Personal, und zwar nur das Allerbeste. Manchmal fragte ich mich im Stillen, ob dieses Luxusgeschöpf an gewöhnlichen Dingen wie dem Einkauf in einem Supermarkt oder dem öffentlichen Nahverkehr scheitern würde. Eine Vorstellung, die mich schmunzeln ließ, obwohl mir jetzt, in dieser realen Bredouille, das Lachen schwerfiel.
Der Butler brachte den Tee und stellte ihn auf den Klapptisch vor uns. Meine Herrin goss sich eine Tasse ein und nahm in aller Ruhe einen Schluck, bevor sie antwortete. Ihre bewusste und gelassene Art, dies zu tun, zog alle Blicke auf sich. Sogar die Sprechchöre hinter uns waren verstummt und die Atmosphäre kam schließlich der Stille gleich, wenn beim Fußball ein spielentscheidender Elfmeter ansteht.
Erst als sie die Tasse wieder weggestellt und sich die Lippen mit einer Stoffserviette betupft hatte, wandte sie sich mir zu. In ihrer schelmischen Miene glaubte ich zu lesen, dass sie durchaus über ihr unorthodoxes Vorgehen Bescheid wusste, doch sicher war ich mir nicht. Zumindest von ihrem Charakter her lag diese Vermutung jedoch nahe, denn mich mit dem Gefühl der Peinlichkeit zu quälen, war eines ihrer liebsten Spiele.
Vergeblich versuchte ich herauszufinden, ob sie nicht einfach nur ihre Unwissenheit über den Alltag gewöhnlicher Menschen überspielte. Erst neulich fand ich heraus, dass sie keine Idee hatte, was eine Tasse Tee kosten könnte. Es kümmerte sie auch nicht, wie viel Steuern sie zu zahlen hatte oder welche Summe sie im Jahr für Kleidung ausgab. Eine Legion von Bediensteten erledigte dies für sie diskret im Hintergrund.
»Wieso denn, meine Liebe?«, fragte sie schließlich und ich würde es »unschuldig« nennen, wenn Lilith nicht alles andere als ausgerechnet unschuldig wäre. »Es scheint mir alles mit rechten Dingen zuzugehen. Wir proben den zivilen Ungehorsam, indem wir eine Straße blockieren, und stellen unsere Forderungen auf großen Schriftstücken dar.«
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