Draußen jagt der Sturm um das Haus. Regen prasselt an die Fensterscheiben. Die Malerin Annalena denkt zurück an ihre letzte Ausstellung. Zu jedem Tag im Advent hat sie ein sadomasochistisches Bild gemalt. Das Cover des Bildbandes zeigt Beatrice, ihre Galeristin. Es hat Annalena einiges an Durchsetzungskraft gekostet, Beatrice davon zu überzeugen, sich in dieser Stellung öffentlich abbilden zu lassen.
Die Malerin schlägt das Bild zum ersten Dezember auf. Da ist Daniel, schaut direkt zum Betrachter. Das Zentrum des Bildes, seine Kraft, Ausstrahlung und Aussage liegt in diesem Gesicht. Einiges von dem, was Sadomasochismus ausmacht, zeigt Daniel, die Annahme von Leid, der gebändigte Widerstand, hingenommene Qual und eine alles überdeckende Lust, die aber nicht bei Daniel liegt.
Annalena nickte kaum spürbar. »Du hast völlig recht. Aus diesem Grunde ist es gut, wenn du dich zu einer Sache zwingst, dich überwinden musst. Ich brauche Authentizität, Ausdruck. Aus einem Bild heraus muss sich etwas entwickeln, dass sich auf den Betrachter überträgt. Ich erkläre es dir an einem einfachen Beispiel. Was würdest du tun, wenn ich den Absatz meines Schuhes auf deinen Fuß stelle und zudrücke, erst langsam, dann immer stärker und dich dabei beobachte?«
Peter sah Annalena an. »Manchmal habe ich den Eindruck, dass es ein BDSM-Amt gibt, in dem penible Angestellte jede Neigung, jeden Fetisch klar definieren, katalogisieren, in Registraturen ablegen, bei Bedarf als Handlungsanweisung hervorholen und durch Exekutive überwachen. Wer die klar definierten Handlungsanweisungen ignoriert, gehört nicht zur Szene. Können Sie mir folgen?«
Katharina trank einen Schluck Mineralwasser, lehnte sich zurück. »Ich hätte nichts dagegen, wenn du dich ausziehst und hier in meinem Studio auf die Liege legst. Dann könntest du mich bitten, dass ich dich dazu bringe, mir ein wenig von deiner Seele zu zeigen. Dominant oder nicht, jeder Mensch hat zwei Seiten.«
Kaum sitzt Annalena, entsteht die Szene in ihrem Kopf. Beatrice, draußen, eng von ihr an der Leine geführt. Es muss ein öffentlicher Gehweg sein. Nur bei scheußlichem Wetter, Regen und Sturm sind derartige Aufnahmen möglich. Kein anderer Mensch sollte auf der Straße sein. Zwar kennen die Nachbarn Annalena als etwas verschrobene, skurrile Künstlerin. Aber das bedeutet nicht, dass sie es tolerieren, wenn eine nackte Frau wie ein Hund an der Leine durch ihre Straße geführt wird.
»Spielen?« Annalena bewegte verneinend ihren Zeigefinger. »Es wird hier etwas strenger zur Sache gehen. Was zögerst du! Schaffst du es, noch deinen Slip auszuziehen? Nun mach und sag uns, worum es dir geht.«
Annalena schaute Vera ungläubig an. »Du bist ein Ferkel, weißt du das? Magst du Kaffee?« »Tee bitte, Kräuter, biologisch unbedenklich. Ich bin kein Ferkel, sondern eine ausgewachsene Sau.«
Auf dem Bild ist die Galeristin zu sehen. Sie schweigt. Das macht sie selten, denn es gibt immer etwas zu bemerken, zu verbessern oder vorzuschlagen. Sie schweigt nicht freiwillig, doch sagen kann sie nichts, denn sie trägt einen Ballknebel. Den sollte sie öfter anlegen.
Katharinas Stiefel verdeckt die direkte Sicht. Nur die Randbereiche des Käfigs sind zu sehen, glänzendes Metall, das sich auf Haut presst. Ein Kabel geht vom Käfig zu einem Steuergerät, ein weiteres führt vom Steuergerät hinter den anderen Stiefel von Katharina. Man ahnt, was er verdeckt.
Eigener Wille und Tabu
Der Major tritt zurück, betrachtet sein Werk. »Schön sieht das aus«, sagt er. »Es schmerzt, nicht wahr? Das soll es auch. Wie wäre es mit noch einigen Gewichten? Magst du ein wenig jammern? Ich schätze es, einen Mann genau dort zu quälen, wo er am empfindlichsten ist. Weißt du, weil ich selbst ein Mann bin, kenne ich die Stellen genau.«
Stahl, nackte Haut und Leder bestimmen das Bild. Zwei Materialien dominieren, über ein Material wird bestimmt. Zwei tote Materialien zwingen ein lebendiges Material in Form. Die Stäbe pressen sich derart eng an Lars, dass er wie ein eng geschnürtes Paket wirkt.