Die Malerin schlägt das Bild zum ersten Dezember auf. Da ist Daniel, schaut direkt zum Betrachter. Das Zentrum des Bildes, seine Kraft, Ausstrahlung und Aussage liegt in diesem Gesicht. Einiges von dem, was Sadomasochismus ausmacht, zeigt Daniel, die Annahme von Leid, der gebändigte Widerstand, hingenommene Qual und eine alles überdeckende Lust, die aber nicht bei Daniel liegt.
Annalena trinkt einen Schluck Kaffee, schaut auf den Bildband. Sind nicht die besten Geschenke die selbst gemachten? Ist es nicht wie bei einer Autorin, die ihr Buch, gedruckt und zum Anfassen im Laden, ausliegen sieht, es kaufen kann? Genau das ist Belohnung, unabhängig von Verkaufszahlen.
Das Buch liegt vor ihr auf dem Tisch, klimaneutral hergestellt. Hundertfünfundsiebzig Seiten Glanzpapier, Großformat. Die ersten Seiten sind ihr, der Künstlerin, gewidmet. Foto, Werdegang, ein Interview. Im folgenden Kapitel wird Beatrice als Galeristin, Förderin der Künste und Model gewürdigt.
Robert, der Gleichstellungsbeauftragte im Kulturministerium, hat ein längeres Grußwort verfasst. Es ist Statement für Diversität in jeder Richtung, gleichzeitig eine Wertung des Sadomasochismus als Bereicherung der Sexualität und des Lebens vieler Menschen.
Annalena überblättert wohlwollende Grußworte einiger toleranter Künstler, liest zwei überaus freundliche Kritiken bekannter Rezensenten. Dem folgen ihre eigenen Worte und danach schließt sich die von Beatrice verfasste Entstehungsgeschichte der vierundzwanzig Ölbilder mit ausführlicher Vorstellung der Models Katharina, Vera, Lars, Daniel und Peter an. Die Malerin kennt jede Zeile, jeden hinter den Worten stehenden Gedanken, hat alle Beiträge nach Lektorat und Korrektorat schlussgelesen und freigegeben.
Lange hatten sie über die Titel der Bilder diskutiert. Annalena schlug substantivierte Adjektive und Schlagworte vor, wollte die Bilder durch die Aussage im Titel unterstreichen. Intensiv, Präzise, Zielgerichtet, Vollendet, Umfassend. Beatrice widersprach, nannte die Idee Effekthascherei und schlug einen direkten Bezug zur Vorweihnachtszeit vor. Am Ende setzte sie sich teilweise durch. Die Provokation, einen Adventskalender mit sadomasochistischen Bildern auszustatten, überzeugte Annalena. Die vierundzwanzig Gemälde wurden nach den Tagen im Dezember benannt und erhielten Untertitel.
Draußen jagt der Sturm um das Haus. Regen prasselt an die Fensterscheiben. Die Malerin Annalena denkt zurück an ihre letzte Ausstellung. Zu jedem Tag im Advent hat sie ein sadomasochistisches Bild gemalt. Das Cover des Bildbandes zeigt Beatrice, ihre Galeristin. Es hat Annalena einiges an Durchsetzungskraft gekostet, Beatrice davon zu überzeugen, sich in dieser Stellung öffentlich abbilden zu lassen.
Rekrut und Offizier
Die Malerin schlägt das Bild zum ersten Dezember auf. Da ist Daniel, schaut direkt zum Betrachter. Das Zentrum des Bildes, seine Kraft, Ausstrahlung und Aussage liegt in diesem Gesicht. Einiges von dem, was Sadomasochismus ausmacht, zeigt Daniel, die Annahme von Leid, der gebändigte Widerstand, hingenommene Qual und eine alles überdeckende Lust, die aber nicht bei Daniel liegt.
Annalena nickte kaum spürbar. »Du hast völlig recht. Aus diesem Grunde ist es gut, wenn du dich zu einer Sache zwingst, dich überwinden musst. Ich brauche Authentizität, Ausdruck. Aus einem Bild heraus muss sich etwas entwickeln, dass sich auf den Betrachter überträgt. Ich erkläre es dir an einem einfachen Beispiel. Was würdest du tun, wenn ich den Absatz meines Schuhes auf deinen Fuß stelle und zudrücke, erst langsam, dann immer stärker und dich dabei beobachte?«
Peter sah Annalena an. »Manchmal habe ich den Eindruck, dass es ein BDSM-Amt gibt, in dem penible Angestellte jede Neigung, jeden Fetisch klar definieren, katalogisieren, in Registraturen ablegen, bei Bedarf als Handlungsanweisung hervorholen und durch Exekutive überwachen. Wer die klar definierten Handlungsanweisungen ignoriert, gehört nicht zur Szene. Können Sie mir folgen?«
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Ungewöhnliches Plot, aber durchaus überzeugend dargestellt. Natürlich ist das wohl unrealistisch, aber es kommt so gut rüber, dass man es durchaus für denkbar hält. Auf alle Fälle interessant!