Peter sah Annalena an. »Manchmal habe ich den Eindruck, dass es ein BDSM-Amt gibt, in dem penible Angestellte jede Neigung, jeden Fetisch klar definieren, katalogisieren, in Registraturen ablegen, bei Bedarf als Handlungsanweisung hervorholen und durch Exekutive überwachen. Wer die klar definierten Handlungsanweisungen ignoriert, gehört nicht zur Szene. Können Sie mir folgen?«
Annalena trinkt einen Schluck Kaffee. Draußen hat der Wind an Stärke zugenommen. Wie das gleichmäßige Rauschen eines nahen Meeres dringt er durch die fest geschlossenen Fenster zu ihr.
Kälte, Sturm, Regen und rasende Wolken am Himmel sind Gewalten der Natur, die in geheizten Zimmern für Romantik sorgen. Aber wehe, man ist dem Sturm direkt ausgesetzt, steht im Regen, der wie Nadelstiche auf die Haut trifft.
Die Malerin blättert vor zum nächsten Bild. Auf ihm ist Vera zu sehen, die ihr sagte, dass sie Kraft und Gewalt liebt, sich ihr gern ausliefert.
Annalena vergleicht Sadomasochismus mit der Gewalt des Wetters. Überwältigend sollte er sein, hell und heiß wie glühende Sonne, eiskalt wie bitterer Frost und er muss zerren wie ein Sturm.
Über das erste Bild mit Vera als Model gab es, wie bei fast allen Fragen möglicher Vermarktung, Diskussionen mit Beatrice. Annalena meinte, dass sich das Motiv wiederholt, wollte es einige Bilder weiter hinten im Kalender platzieren. Die Galeristin beharrte auf ihrer Theorie von Kontinuität und langsamem Wechsel der Themen. Wieder gab Annalena nach.
Beatrice hat in künstlerischen Marketingfragen meist Recht. Nur als Sub schweigen ihre Argumente. In diesen Stunden ist sie zahm.
Annalena schaut das Gemälde an. Thematisch ähnelt es dem Bild vom zweiten Dezember, nur dass sich der Major auf seine konsequente Art nicht mit einem jungen Mann beschäftigt, sondern mit einer Frau. Vera hängt wie Daniel mit ihrem Kopf nach unten. Viele dünne Seile spannen sich zwischen ihren Beinen nach oben, laufen über Rollen, sorgen durch Gewichte aus Edelstahl für einen permanenten Zug. Der Major hält eine Stahlklammer in der Hand, an der eines der Seile befestigt ist. Veras Gesicht wirkt wie gerahmt von den glänzenden Stiefeln des Majors, ihr Ausdruck aus Schmerz und klar erkennbarer Lust überträgt sich beim Betrachten.
Draußen jagt der Sturm um das Haus. Regen prasselt an die Fensterscheiben. Die Malerin Annalena denkt zurück an ihre letzte Ausstellung. Zu jedem Tag im Advent hat sie ein sadomasochistisches Bild gemalt. Das Cover des Bildbandes zeigt Beatrice, ihre Galeristin. Es hat Annalena einiges an Durchsetzungskraft gekostet, Beatrice davon zu überzeugen, sich in dieser Stellung öffentlich abbilden zu lassen.
Die Malerin schlägt das Bild zum ersten Dezember auf. Da ist Daniel, schaut direkt zum Betrachter. Das Zentrum des Bildes, seine Kraft, Ausstrahlung und Aussage liegt in diesem Gesicht. Einiges von dem, was Sadomasochismus ausmacht, zeigt Daniel, die Annahme von Leid, der gebändigte Widerstand, hingenommene Qual und eine alles überdeckende Lust, die aber nicht bei Daniel liegt.
Annalena nickte kaum spürbar. »Du hast völlig recht. Aus diesem Grunde ist es gut, wenn du dich zu einer Sache zwingst, dich überwinden musst. Ich brauche Authentizität, Ausdruck. Aus einem Bild heraus muss sich etwas entwickeln, dass sich auf den Betrachter überträgt. Ich erkläre es dir an einem einfachen Beispiel. Was würdest du tun, wenn ich den Absatz meines Schuhes auf deinen Fuß stelle und zudrücke, erst langsam, dann immer stärker und dich dabei beobachte?«
Grenzen
Peter sah Annalena an. »Manchmal habe ich den Eindruck, dass es ein BDSM-Amt gibt, in dem penible Angestellte jede Neigung, jeden Fetisch klar definieren, katalogisieren, in Registraturen ablegen, bei Bedarf als Handlungsanweisung hervorholen und durch Exekutive überwachen. Wer die klar definierten Handlungsanweisungen ignoriert, gehört nicht zur Szene. Können Sie mir folgen?«
Katharina trank einen Schluck Mineralwasser, lehnte sich zurück. »Ich hätte nichts dagegen, wenn du dich ausziehst und hier in meinem Studio auf die Liege legst. Dann könntest du mich bitten, dass ich dich dazu bringe, mir ein wenig von deiner Seele zu zeigen. Dominant oder nicht, jeder Mensch hat zwei Seiten.«
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